Unsere erste Kununu-Bewertung ist selbstverständlich schlecht. Wie ist meine Reaktion?

Da ist sie: unsere erste Kununu-Bewertung. Nach den ersten wütenden Spontanreaktionen aber bin ich ins Grübeln gekommen (Ihr lest sie alle unten, Reaktion 1-4). Verhalte ich mich hier nicht genauso, wie das Erpressersystem es voraussieht? Folge ich hier nicht dem vorgezeichneten Weg? Wer mich kennt, wundert sich nicht, dass ich mich angefangen habe zu fragen: Welche anderen Möglichkeiten der Reaktion habe ich, wenn ich mich in den Fängen einer Erpresser-Plattform gelandet bin? Was ist der würdevolle Weg nach draußen? Der, der uns wirklich weiter bringt?

Kummerkasten vs. Erpressung

Früher gab es in Betrieben, Vereinsheimen und Gaststätten eine Einrichtung, die nannte sich „Kummerkasten“. Meistens eine selbstgebastelte Pappbox aus einem alten Schuhkarton, notdürftig mit Kreppband zugeklebt, vorne einen Schlitz reingeschnitten und mit Edding drauf geschrieben: „Kummerkasten“. Der Kummerkasten war immer eine gute Einrichtung, basierend auf einer stillen Vereinbarung: Die mit dem Kasten boten denen mit dem Kummer einen Raum, um zuzuhören – unter vier Augen. Die mit dem Kummer konnten selbst entscheiden, ob sie anonym bleiben wollten. Die mit dem Kasten konnten entscheiden, was sie draus machten. Unter diesen Bedingungen war das möglich, was menschliche Kommunikation eben im Bestfall hervorbringen kann: Austausch. Offenheit. Zuhören. Verändern.

Unternehmen am Pranger

Das ist genau der Unterschied, warum die Unternehmensbewertungsplattform Kununu kein Kummerkasten ist, sondern oft die Funktion eines „Rachekastens“ übernimmt, wenn sich jemand über ein Unternehmen auskotzen möchte. Denn die stille Vereinbarung gilt nicht mehr – wenn erstmal eine schlechte Bewertung da ist, lässt der Zwang zu Reagieren den Unternehmen keine Wahlfreiheit mehr. Da die schlechte Bewertung sofort und für immer der Netzöffentlichkeit zur Verfügung steht, sind sie sofort unter Zugzwang, denn sie stehen am Pranger. Das dreht auf einmal die Verhältnisse um, und Kununu wird somit oft zum Erpressermodell. Und das ist das, was mich an der ganzen Sache echt nervt: Ich möchte gerne selbst entscheiden, bei welcher Unternehmensbewertungsplattform ich Kunde werden möchte.  

Mist, jetzt ist es echt auch uns passiert

Ihr ahnt es sicher: Wir sind Betroffene. Wir haben unsere erste Kununu-Bewertung erhalten, selbstverständlich eine schlechte. Selbstverständlich weiß ich auch genau, wer das war. Was leider wirklich unfair ist, ist, dass einige Dinge nicht stimmen. Generell kümmere ich mich persönlich einen Großteil meiner Zeit darum, dass es allen Leuten bei uns – und uns als Team – möglichst gut geht. Wir haben in unserer 15-jährigen Firmengeschichte bereits mehr als zwanzig Auszubildende erfolgreich zu Fachinformatiker*innen ausgebildet, Übernahmequote: 100%. Ein einziges Mal haben wir in der Probezeit gemerkt, dass der falsche Ausbildungsberuf gewählt wurde und haben uns verpflichtet gesehen, die Konsequenzen zu ziehen. 

1. Reaktion: Ärger und Anwalt

Also regte ich mich zuerst auf und dachte: zurückschlagen. Das Blut pulst in den Adern, das Testosteron auch, der Hals schwillt an, innerlich werden schon die Fäuste hochgehoben, bei meinen „Mitstreitern“ und mir, um zum Gegenschlag auszuholen. Da wir uns aber im wirtschaftlichen Kontext selten kloppen und auch nicht duellieren, denkt man halt an die feinere (aber eng verwandte) Methode: zum Anwalt! Das ganze Programm der modernen Kriegsführung. Das geht, es gibt Anwaltskanzleien, die auf Löschung von Kununu-Bewertungen spezialisiert sind – zum Festpreis, zahlbar nur bei Erfolg. Aber ist das wirklich der Weg?

2. Reaktion: Gift mit Gegengift bekämpfen

Als die erste Wut verraucht war, stellte sich bei mir reflexartig Aktivismus ein. Und der besteht aus: Schadensminimierung. Das ist das, was Kununu will, worin ihr Geschäftsmodell besteht und was sicher die meisten auch tun: bei dem bösen Spiel mitspielen. Kununu-Firmenaccount eröffnen, alle aktiven und ehemaligen Mitarbeitenden versuchen, zu einer positiven Bewertung zu überreden, um den Makel zu „übertünchen“ – aber ist das der Weg? Führt er dazu, worum es doch eigentlich gehen könnte und wovon auch Bewerber*innen, zukünftige Mitarbeiter*innen und gute Unternehmer*innen profitieren würden: ein echtes Stimmungsbild des Unternehmens erstellen. Solche Gegenmaßnahmen führen doch nur dazu, dass die Wahrheit im Netz weiter erodiert.

3. Reaktion: Die Wahrheit dahinter erkennen

Als auch dieser reflexartige Aktivismus nachgelassen hatte, meldete sich eine leise Stimme in meinem Hinterkopf zu Wort, die flüsterte: Vielleicht ist ja auch was dran? Versuch doch mal, die Dinge von seiner Warte aus zu betrachten. Gibt es nicht auch ein paar Punkte, die er anspricht, die dir auch schon länger ein Dorn im Auge sind? 

Hier kommt die alte Idee des Kummerkastens wieder zum Vorschein, die bittere Wahrheit, der sich lernende Organismen und Unternehmer*innen stellen müssen: Sie sind eben nicht perfekt. Manchmal geht es eben schief, und dabei haben beide Seiten eine Rolle gespielt. Also durchaus auch ein Weg, den man bei der Gelegenheit nutzen sollte: In die Eigenreflektion gehen. Draus lernen. Zu dieser stillen Einkehr haben wir aber kaum Zeit, schließlich stehen wir am Pranger; und die Selbsterkenntnis ist zwar gut, löst aber nicht unser Problem: dass ein Makel an uns haftet, ein unausgewogenes Bild. Was also tun? Kommen wir nun zu einer etwas unkonventionellen Reaktion.

4. Reaktion: Das System hacken

Mit noch etwas mehr Abstand aber meldete sich meine Spielernatur zu Wort. Und die fragte, ganz gradraus: Kann man das System mit eigenen Mitteln schlagen? Müssen wir uns von Internet-Bewertungsportalen wirklich diktieren lassen, was wir tun? Ich glaube nein. Deshalb finde ich wirklich inspirierend, wie es zwei Bistro-Besitzer in Kalifornien gemacht haben: sie haben das System auf den Kopf gestellt, indem sie beschlossen, stabil das einzige Restaurant auf Yelp mit einer 1-Sterne-Bewertung zu werden. Ihre Maßnahmen: 25% Rabatt aufs Essen für alle Gäste, wenn sie die denkbar schlechteste Bewertung hinterlassen. Der Plan ging auf und die Leute versuchten, sich mit Kreativität bei den schlechten Bewertungen gegenseitig zu über- bzw. unterbieten: „Einige Spaghetti waren extrem dünn – und deutlich kürzer als üblich!!1!!!“ Das hat echt Schenkelklopfer-Potenzial, man könnte ein Buch darüber schreiben (oder eine Social Media-Kampagne draus machen) – und es führt das System Internet-Bewertungen ad absurdum. Genau mein Ding eigentlich.

Ihr seht also: Es gibt einen Raum zwischen Reiz und Reaktion. Oft ist der erste Impuls nicht der beste – warum bei der eskalierenden Wut im Netz immer mitmachen? Warum sofort das Spiel mitspielen und bestechlich werden? Warum nicht auch erstmal versuchen, die andere Seite zu verstehen – und das System zu durchschauen? Sich seine eigene Story nicht aus der Hand nehmen lassen, nur weil das Internet sie schreibt. Wie wir uns entschieden haben? Ihr werdet’s bald sehen. Schaut mal auf Kununu, im Laufe des Sommers. Ich sag nur: Own your integrity. Das ist der Weg.


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