Die dunkle Seite des Internets: 6 Tipps für mehr Privacy und gegen das »Social Dilemma«

In 2019 hat uns die Dokumentation »The Great Hack« über den Facebook–Cambridge Analytica Datenskandal ziemlich deutlich die dunkle Seite von Social Media aufgezeigt. Letzte Woche habe ich die neue Netflix-Doku »The Social Dilemma« geschaut.
Ich würde nicht sagen, dass sie mich wachgerüttelt hat – ich war schon vorher wach. Immerhin bin ich nicht nur beruflich, sondern auch im privaten Umfeld Ansprechpartner für alle Fragen rund um Informationstechnologie, Informationssicherheit und Datenschutz.

Aber »The Social Dilemma« hat mir gezeigt, dass ich mich, meine Familie und mein Umfeld immer und immer wieder aufs Neue disziplinieren muss. Das ist wie mit Ernährung und Sport und all den anderen, unbequemen Wahrheiten des Digitalzeitalters: man hat sie nicht einmal angepackt und für immer im Griff. Man muss sich kontinuierlich kümmern. Auch und vor allem im Medienkonsum reißen schlechte Gewohnheiten ein, die man längst besiegt zu haben glaubte, es schleicht sich der »Schlendrian« ein bei Themen, für die man schonmal Regeln formuliert hatte, es tun sich Lücken auf in Systemen, von denen man schon mal dachte, sie seien eine Bastion. 

Kurz für diejenigen, die »The Social Dilemma« noch nicht kennen: In der Doku geht es vor allem um die unangenehme Angewohnheit von intelligenten Social Media- und Suchmaschinen-Algorithmen, die mit ausgeklügelten Methoden unsere Aufmerksamkeit hacken; die uns bei allem, was wir tun, tracken; und die im Hintergrund einen vollständigen, digitalen Zwilling unserer selbst erstellen, den sie an ihre Werbekunden vermieten, um uns im harmlosen Fall Dinge zu verkaufen; im weniger harmlosen Fall, um uns zu manipulieren und unsere gesellschaftliche Ordnung zu gefährden. 

Die Doku war für mich ein Anlass, mich selbst, meine Familie und auch meine Arbeit wieder einmal zu überprüfen, und zwar zu diesen zwei Kriterien:

1. Sicherheit: Was kann ich tun, um mich, meine Geräte und meine Daten zu schützen?

2. Selbstkontrolle: Was kann ich tun, um meinem eigenen Suchtverhalten (nein, nicht nur bei Kindern) entgegenzuwirken?

Apple: eingebaute Sicherheit und Selbstkontrolle

Apple macht hier wirklich sehr viel richtig. Hier einige der Features, inkl. den Links zu den must-see-Keynotes, die Apple konsequent seit 2017 in ihren Produkten umgesetzt haben:

Bildschirmzeit

Auf der Apple Keynote im Juni 2018 stellt Apple mit iOS 10 neue Features vor, mit u.a. das iPhone auf »Do Not Disturb« gestellt werden kann. Ebenso wird die Verwaltung der Notifications vereinfacht. Beides schon mit dem Ziel, weniger vom eigenen iPhone gestört zu werden. Doch dann – ab Minute 47 – wechselt Craig Federighi zum nächsten Thema; gleichzeitig bemerkt man eine noch ernstere Stimmung im Saal, als er die nächste große Neuerung ankündigt: »Now, in addition to these great features for helping you limit distractions, we wanted to go further, and it’s with a feature we call screen time«. Mittlerweile kennen wir alle diese Funktion. Bildschirmzeit sendet uns sogar ein mal pro Woche einen Wochenbericht, der den ein oder anderen durchaus schockiert.

→ Datenschutz

Eine sehr ähnliche Situation gibt es auf der Apple Keynote im Juni 2019, als Craig Federighi – ab Minute 39 – beginnt über Datenschutz zu sprechen: »We always protect your identity and activity and there is no need to flip a switch to ask Maps to start respecting your privacy because at Apple, we believe privacy is a fundamental human right and we engineer it into everything we do«.  Noch etwas: Seit der Keynote im Juni 2020 – ab Minute 55 – verwendet Apple sogar zu allen Datenschutz-Features eine Art Sub-Brand: Im Apfel-Logo wird ein Schloss (anstatt dem Blatt) verwendet. Craig Federighi setzt hier nach 2019 noch einen drauf und sagt: »Privacy matters now more than ever. And because our devices contain our most sensitive information, all of our product work is grounded in a set of privacy principles

→ Cookies & Tracking

OK, die EU-Datenschutzgrundverordnung (bzw. ePrivacy-VO und EU-Cookie-Richtlinie) soll den Umgang mit Cookies inkl. Tracking regeln. Jedoch führt das offensichtlich hauptsächlich dazu, dass Webseiten nervige Cookie-Banner hinzugefügt haben, und dass man beim Internet-Surfen am Tag gefühlt tausende Einwilligungen gibt. Boom!: Auf der Apple Keynote im Juni 2017, stellt wieder Craig Federighi – ab Minute 24 – die neue Funktion von Safari vor, die third-party-Cookies und Ad-Tracke blockiert:

»Have you ever had this experience where you go to buy something on the web and you even complete the purchase. And it seems like everywhere you go on the web, it just follows you around. It kind of feels like you’re being tracked – and that’s because YOU ARE! – No longer, because Safari has intelligent tracking prevention. (…), so now, your privacy, your browsing history is your own. It’s not about blocking ads, but your privacy is protected«.

Ich freue mich jetzt schon auf die Zeit ohne Cookie-Banner!

Kinder und das Internet – die dunkle und die helle Seite der Macht

Ich bin stolz darauf, dass meine Kinder sehr technik- und internet-affin sind. Mein 14-jähriger Sohn hat sich vor kurzem – aus etwa 15 bis 20 Einzelteilen verschiedener Hersteller – einen Gaming-PC gebaut. Ich war absolut verblüfft, welches Wissen er sich angeeignet hatte. Er hat mir teilweise technische Details erklärt, die selbst ich – also gelernter ITler – nicht wusste. Und auch unser 12-jähriger hat seit neulich einen Minecraft-Server aufgesetzt, wo er mit seinen Freunden gemeinsam Minecraft-Welten bauen und zentral speichern kann.

All dieses Wissen haben sie aus YouTube. Und das sind nur zwei Beispiele für die positiven Aspekte der Videoplattform. Wir alle nutzen YouTube als erste Adresse für sämtliche »Tutorials« fürs private aber auch geschäftliche Leben. Das ist die helle Seite der Macht. 

Aber es gibt auch eine dunkle Seite. Und sie bedeutet, dass das oberste Ziel des Algorithmus ist, unsere Aufmerksamkeit möglichst lange zu binden. Denn das ist genau das, was die Betreiber ihren Werbekunden verkauft haben. Ehrlich gesagt stört mich das auch schon länger, dass meine Kinder zum einen ständig Werbung zu sehen bekommen und zum anderen auch Videos anschauen, die sie gar nicht anschauen wollten oder sollten. Ohne noch mehr auf dieses wirklich gruselige Thema eingehen zu wollen, nur ein Hinweis an alle Eltern: Die Betreiber der Plattformen schaffen es leider immer weniger die Videos zu prüfen bevor sie online gehen. Vor allem bei Streams gibt es immer mehr wirklich schlimme Dinge die man »live« mitverfolgen kann. Und das nenne ich daher auch die dunkle Seite des Internets.

Ok, sagst du berechtigterweise – aber was kann ich tun?

Meine 6 Tipps für mehr Privacy und gegen das eigene Suchtverhalten

Wie gesagt, anscheinend muss man sich ab und zu einer Schock- oder Disziplinierungsmaßnahme unterziehen – dafür ist »The Social Dilemma« bestens geeignet. Für alle, denen es ähnlich ergeht, möchte ich hier meine 6 Tipps für Privacy und gegen das eigene Suchtverhalten teilen. Ich freue mich, wenn ich dem ein oder anderen damit helfen oder inspirieren kann.

1. Vermeide werbebasierte bzw. kostenlose Dienste

»If you are not paying for it, you’re not the customer; you’re the product« blue_beetle / Tim O’Reilly / Richard Serra / …

Bei kostenlosen Diensten zahlst du immer einen Preis, auch wenn er erstmal unsichtbar erscheint. Bei werbefinanzierten Geschäftsmodellen ist derjenige, der die Werbung schaltet, der Kunde. Für alle, die noch nie auf Google Werbung geschaltet haben: da kann ich mir die Zielpersonen, denen meine Werbung eingespielt wird, fast bis auf die Augenfarbe und Schuhgröße aussuchen. Und das sind noch die harmloseren Daten, die Google über dich speichert.

Als Alternative zu Google gibt es z.B. DuckDuckGo oder noch besser: Ecosia verwendet die Einnahmen aus Suchanzeigen, um Bäume dort zu pflanzen, wo sie dringend gebraucht werden. Durch deine Suche mit Ecosia unterstützt du nicht nur unsere Aufforstungsprojekte weltweit, sondern du hilfst auch den Menschen in den Pflanzgebieten vor Ort, damit sie sich eine bessere Zukunft aufbauen können. Diese Suchmaschinen sind zwar auch kostenlos und werbefinanziert, aber auf die einfachste Art und Weise: Hier kannst du suchen, ohne dass die Suchmaschine weiß wer du bist, wo du gerade herkommst und wo du als nächstes hingehst. Suchmaschinen wie Google greifen auf unzählige Daten zurück um die Werbung an die “Zielperson” auszuliefern. Du kannst übrigens einfach in den Einstellungen Deines Browsers eine Alternative Suchmaschine hinterlegen, damit Du weiterhin so komfortabel suchen kannst.

Um die Werbung auszublenden und somit etwas dazu beizutragen, dass das Business Model nicht werbefinanziert ist, nutze YouTube Premium, vor allem für die Kids. Für einen monatlichen Beitrag von knapp 10€ können sie so YouTube nutzen, ohne dass der Algorithmus sie versucht »dauerzuberieseln«.

Man muss ja nicht unbedingt so weit gehen, wie es Jaron Lanier, der in »The Social Dilemma« oft zu Wort kommt, in seinem Buch fordert: »Ten Arguments For Deleting Your Social Media Accounts Right Now«. Aber lösche doch einfach so viele Accounts wie möglich. Lösche deinen Facebook-, WhatsApp- und Instagram-Account (wie das geht erfährst Du in vielen Tutorials auf YouTube), lösche dein TikTok. Glaube mir, du wirst dich danach sogar besser fühlen. Es ist ähnlich wie Rauchen aufhören.

2. Konfiguriere Deine(n) Browser

(Tracking-)Cookies verfolgen alles, was Du mit Deinem Browser machst und stellen dies dem Cookie-Inhaber zur Verfügung. Und dieser verkauft diese Daten oder verwende sie selbst. Deaktiviere also Cookies bei deinem Browser und/oder nutze Safari oder Firefox als Browser, da diese die Funktion bereits eingebaut haben. Auch hilfreich oder als Alternative: Installiere ein privacy-Browser-Plugin (z.B. von Ghostery), dann siehst Du bei jedem Webseiten-Besuch, was alles getrackt wird und kannst es einfach abschalten. 

3. Keine Social-Media- und News-Apps auf dem Smartphone

Einer der Gründe für überbordenden Smartphone-Konsum ist die Zentralisierung von so vielen Funktionen auf einem Gerät. Hierbei vermischen sich nützliche Apps (Wetter) mit Apps, die dich immer dazu animieren, deine Zeit zu verplempern (Alle Social Media Apps). Eine gut funktionierende Taktik ist also, Funktionen vom Smartphone wegzunehmen und auf andere Geräte zu verlegen, z.B. zurück auf den Desktop oder auf die Apple Watch. 
Nutze doch mal alle Social-Media-Dienste nur im Browser auf dem Computer. Oder nutze sie nur auf dem iPad neben der Couch (und nur dort). Du wirst sehen, dass der Konsum quantitativ drastisch weniger wird, und auch weniger häufig in der Frequenz – weil man eben nicht mehr so häufig draufschaut.

4. Push-Notifications aus

Eigentlich selbstverständlich, aber bedarf auch konstanter Pflege: Schalte alle Push-Notifications für Apps und Social-Media aus. Ich selber achte sehr darauf. Aber auch mir rutscht wohl ab und zu was durch: Ich hatte neulich z.B. den Fall, dass mir die Uber-App auf meinem iPhone ungefragt eine Push-Nachricht für einen »Gutschein für meine erste Essens-Bestellung« gesendet hat – die App hat die Erlaubnis dafür unerlaubterweise als Default-Einstellung bei der Installation! Das ist ziemlich unverschämt, und muss leider immer noch manuell behoben werden.

5. Für Eltern: Mediennutzungsvertrag und WLAN limitieren

Spreche mit den Kindern und schließt einen Mediennutzungsvertrag (am besten ist, wenn dieser für Kinder und Erwachsene gleichermaßen gültig ist). Konfiguriere Dein WLAN mit Sicherheitssoftware (WLAN-aus-Zeiten, Web-Filter, Blacklist, etc.) zum Beispiel: Linksys Shield oder Sophos Home)

6. Smartphone-freie Zonen

Richte Smartphone-freie Zonen ein. Zum Beispiel: kein Smartphone am Esstisch, kein Smartphone im Meeting, kein Smartphone im Schlafzimmer – für Kinder, aber auch für Erwachsene.

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Die passende Podcast-Episode:

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Linksammlung / Quellen:

The Social Dilemma
(Netflix-Doku über die Kehrseite der Social-Media-Welt)

The Great Hack
(Netflix-Doku über den Facebook–Cambridge Analytica Datenskandal)

Apple Keynote, Juni 2020
(Datenschutz als sub-brand, ab Minute 55)

Apple Keynote, Juni 2019
(Datenschutz, ab Minute 39)

Apple Keynote, Juni 2018
(Bildschirmzeit, ab Minute 47)

Apple Keynote, Juni 2017
(Safari anti-tracking, ab Minute 24)


»
Ten Arguments for Deleting Your Social Media Accounts Right Now«
(Jaron Lanier, ISBN: 9781250196682)


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