Es passiert immer wieder. Jemand im Freundes- oder Familienkreis stirbt. Man wird angerufen, erfährt es beiläufig, liest es vielleicht in einer Nachricht. Und sofort ist es wieder da – dieses Gefühl. Die Endlichkeit. Die Fragilität. Und die Tatsache, dass das Leben eben keine Garantie auf Morgen gibt.
Was mich in solchen Momenten neben der Trauer immer wieder bewegt, ist der Blick auf das, was bleibt – und auf das, was nicht vorbereitet war. Denn ganz gleich, ob jemand viel oder wenig besessen hat: Wenn nichts geregelt ist, beginnt für die Hinterbliebenen eine Zeit voller Unsicherheiten, emotionaler Belastung – und oft leider auch Streit.
Ich habe das in meiner eigenen Familie erlebt. Als mein Opa starb. Und noch viel deutlicher, als meine Mutter ging. Es war nichts geregelt. Kein Testament, keine Wünsche zur Bestattung, keine Klarheit über das, was wo liegt oder wem was zusteht. Und wenn ich „nichts“ sage, meine ich: wirklich nichts.
Das Resultat? Überforderung. Konflikte. Entscheidungen unter Zeitdruck. Und ein Hauch von Ungerechtigkeit, der sich in manchen Fällen über Jahre hält.
Natürlich ist das nachvollziehbar. Wer will sich schon zu Lebzeiten mit dem eigenen Tod beschäftigen? „Später mal“, denkt man. Wenn man alt ist. Wenn es „dran“ ist. Doch das Leben hält sich nicht an Pläne. Und manchmal ist später zu spät.
Ich wohne in München in der Maxvorstadt, ganz in der Nähe des Alten Nördlichen Friedhofs. Oft nehme ich den Weg dorthin, wenn ich morgens ins Büro gehe – manchmal aus Zeitgründen, oft aber auch, weil dieser Ort eine besondere Ruhe ausstrahlt. Zwischen den alten Bäumen, den verwitterten Grabsteinen und den gelegentlichen frischen Blumen auf den Gräbern kommen mir oft Gedanken – nicht unbedingt schwere, aber ehrliche.
Der Alte Nördliche Friedhof wurde 1868 eröffnet und war bis 1944 Münchens zentrale Begräbnisstätte. Heute ist er ein denkmalgeschützter Park, in dem man Geschichte atmen kann: Hier liegen bekannte Persönlichkeiten wie der Physiker Carl von Linde oder der Maler Franz von Lenbach begraben. Aber es sind nicht nur die Namen, die wirken – es ist die Stille, die Erinnerung, das Gefühl, dass hier viele Geschichten enden. Und genau das bringt mich immer wieder ins Nachdenken darüber, was wir selbst einmal hinterlassen – und wie gut oder schlecht wir darauf vorbereitet sind.
Wie beim Thema Ehe: Wer nicht entscheidet, überlässt alles dem Gesetz
Ich habe mich schon einmal mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn man sich auf das gesetzliche Standardmodell verlässt – zum Beispiel beim Thema Ehevertrag und Zugewinnausgleich. Auch dort zeigt sich: Nicht zu entscheiden, ist eben auch eine Entscheidung – nur oft keine gute. Und genau dasselbe gilt für das Thema Nachlass.
Wer kein Testament schreibt, entscheidet sich für das Gesetz – mit all seinen standardisierten Verteilungen, seinen Auslegungen und seinen Fallstricken. Und auch hier gilt: Das funktioniert oft schlecht – oder gar nicht.
Was dann übrig bleibt, ist eine Mischung aus Ratlosigkeit, Formalismus und oft ein Krieg unter denjenigen, die eigentlich gemeinsam trauern sollten. Und das alles nur, weil man zu Lebzeiten „noch nicht dazu gekommen ist“.
Mein Nachlasshandbuch
Ich habe für mich entschieden, dass ich das anders machen möchte. Nicht, weil ich den perfekten Plan habe oder genau weiß, was das Leben noch bringt. Sondern, weil ich nicht will, dass andere einmal die Verantwortung für meine fehlenden Entscheidungen tragen müssen.
Deshalb habe ich schon vor Jahren angefangen, mein Testament zu schreiben. Inzwischen bin ich bei Version 4. Und ja – ich versioniere das bewusst, so wie ich es aus meinen beruflichen Prozessen kenne. Wer ein gutes Managementsystem führt, weiß: Es geht um Nachvollziehbarkeit, um Klarheit, um Aktualität. Dasselbe gilt für das eigene Nachlassdokument.
Neben dem Testament habe ich ein Nachlasshandbuch geschrieben – darin steht nicht nur, wer was bekommen soll, sondern auch, wie bestimmte Dinge gedacht waren. Welche Optionen ich sehe. Welche Wünsche ich vielleicht habe – ohne sie zu diktieren.
Gerade wenn ein Unternehmen, Beteiligungen oder andere komplexe Strukturen im Spiel sind, reicht ein klassisches Testament oft nicht aus. Es braucht mehr als nur eine formale Erbregelung – es braucht Kontext. Gedanken, die mitgegeben werden. Ein Rahmen, der Orientierung bietet, aber keine Fesseln.
Mir war immer wichtig, dass meine Kinder keine Verpflichtung spüren, etwas übernehmen zu müssen. Schon gar nicht die Firma. Ich kenne genug Beispiele, in denen Kinder in Familienunternehmen förmlich „mitvererbt“ wurden – ob sie wollten oder nicht. Das beginnt oft schleichend: durch Formulierungen im Testament, durch Erwartungen im Umfeld, durch moralische Schuldgefühle, die zwischen den Zeilen mitschwingen. Am Ende übernehmen sie vielleicht tatsächlich – nicht aus Überzeugung, sondern aus einem Gefühl von Pflicht. Und das kann auf Dauer niemandem guttun.
Deshalb habe ich für mich klar formuliert: Niemand muss etwas übernehmen. Weder die Firma, noch Anteile, noch Rollen oder Verantwortlichkeiten. Es gibt keine Bedingung, kein „du bekommst das, wenn du…“. Stattdessen habe ich mögliche Optionen skizziert – wie eine Übergabe aussehen könnte, wer unterstützend wirken würde, welche Gedanken ich mir zur Entwicklung gemacht habe. Ohne jede Verpflichtung, ohne Erwartung.
Ich sehe das als Angebot. Eine Hilfestellung, falls es Interesse gibt. Und genauso als Freiraum, nein zu sagen, ohne schlechtes Gewissen. Denn was ich wirklich hinterlassen möchte, ist kein Apparat, der jemanden auffrisst. Sondern eine Grundlage, auf der neue Entscheidungen getroffen werden können. Mit Klarheit, mit Freiheit – und mit möglichst wenig Ballast.
Es geht nicht ums Geld – es geht um Haltung
Man braucht kein Vermögen, um ein Testament zu schreiben. Kein Unternehmen, keine Immobilien. Es reicht, dass man Menschen hat, die einem wichtig sind. Dass man nicht will, dass sie sich durch Ordner wühlen, sich streiten oder hilflos fühlen. Sondern dass man ihnen – in einer ohnehin schweren Zeit – Orientierung gibt.
Das ist kein leichter Schritt. Sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen ist unbequem. Aber es ist vielleicht einer der erwachsensten Schritte, die wir gehen können.
Also: Wenn du das hier liest und noch kein Testament hast – fang an. Es muss nicht perfekt sein. Aber es ist ein Anfang. Und wer weiß – vielleicht wird es irgendwann Version 4.