Seit März 2020 waren alle unsere Leute und ich fast vier Monate im Homeoffice, bedingt durch die COVID-19 Situation. Seit Juni kehren wir langsam wieder zurück ins Büro. COVID-19 hat eine Situation beschleunigt, auf die wir aus alter Gewohnheit lange nicht genau geschaut haben, um deren Antwort wir uns in der Wirtschaft seit vielen Jahren drücken: Wie wollen wir in Zukunft eigentlich arbeiten?
Unsere Erfahrung
Konsequent als ganze Firma im Homeoffice, das war auch für uns ein großes Sozialexperiment. Und es ist uns klar geworden, wie gut es für uns funktioniert: wir haben festgestellt, dass unser Business uneingeschränkt auch im digitalen Raum funktioniert (siehe hier unsere Corona-Policy).
Um unser soziales Miteinander auch in den digitalen Raum zu übertragen, haben wir viele Formate entwickelt: schon vor Corona hatten wir mit „Workplace“ schon Teil der Kommunikation im Unternehmen in den digitalen Raum verlagert. Während der Büroschließung war der Bedarf nach Zusammenkünften noch größer, also führten wir weitere virtuelle Formate ein: Teammeeting am Morgen, gemeinsames, digitales Mittagessen, Freitag abends die Boaz’n beim gemeinsamen Feierabendbier. Und trotzdem war’s nicht genug. Wir haben uns vermisst. Unser Büro ist ein toller Ort, und wir sind als Team gerne zusammen. 100% Homeoffice auf Dauer, für immer, ist für uns nicht vorstellbar. Es ist manchmal auch einfach einsam zu Hause, gerade für unsere jüngeren Mitarbeiter, die alleine leben. Manchmal fällt einem die Decke auf den Kopf; manchmal braucht man Abstand vom Familienwahnsinn – für konzentriertes Arbeiten.
Own Your Compliance
Deshalb haben wir uns jetzt gefragt, wie ein neues Homeoffice- und Arbeitszeitmodell für uns bei Nextwork aussehen kann.
Interessiert beobachte ich Vorstöße von Kunden und Kollegen, wie sie das angehen: Die Hamburger Designagentur Mutabor hat ein gutes Format aufgelegt, in dem sie sich Gedanken darüber machen, wie das Homeoffice als Teil des Unternehmensraums und der Markenbotschaft aussehen sollte. Die Goldenen Hirschen waren die ersten, die den Leitfaden „Work New“ veröffentlicht haben, in dem sie die Anwesenheitspflicht für alle Standorte abgeschafft haben. Mirko Kaminski, CEO von achtung! unterbricht jeden Tag den Business-Stream und schaltet quasi live nach Fehmarn – zu seinem Stegsprung. Auch die Dinosaurier bewegen sich: Siemens bietet seinen 140.000 Mitarbeitern ab sofort eine Homeoffice-Quote von 50% an.
Wie aber gehen wir damit um, dass der Gesetzgeber feste Arbeitszeiten im Vertrag stehen haben will? Wie gehen wir damit um, dass eine tägliche Arbeitszeiterfassung Pflicht ist für den Arbeitgeber?
Bei Nextwork vertreten wir in unseren vielen Zertifizierungs- und Compliance-Projekten unseren Kunden gegenüber das Mantra: Own Your Compliance! Das eigene Business aktiv gestalten, die eigene Compliance schreiben – statt den Regularien des Gesetzgebers oder Auftraggebers hinterherzuhinken und den eigenen Handlungsspielraum auf immer kleineren Raum reduziert zu sehen. Deshalb mein Appell: Macht Euch Gedanken über Euer eigenes Arbeitszeit- und Homeoffice-Modell. Gestaltet es, nicht wie der Gesetzgeber vorschreibt, sondern so, dass es zum eigenen Geschäft, zur Art der Leistung, und vor allem zu den Menschen im Unternehmen passt.
Initiative „New Work @ Nextwork“
Ich habe seit Kurzem in unserem Unternehmen eine Initiative gestartet: „New Work @ Nextwork“. Was beinhaltet dies im Einzelnen?
- Umfrage: Ich habe im Team eine anonymisierte Umfrage durchgeführt, mit Fragen zu Arbeitszeiten und Homeoffice. Die Ergebnisse waren für mich sehr aufschlussreich: es gab viele gute Ideen aus dem Team. Und nein, wir wollen nicht in die alte Welt zurück.
- Wahlen: Ich habe das Team gefragt, wer mitmachen möchte und Teil eines Arbeitskreises sein will. Alle Teammitglieder, also innerhalb und außerhalb des Arbeitskreises, konnten abstimmen, wer ihr geeigneter Kandidat sein sollte. Fünf Plätze gab es zu besetzen, da sich sieben engagierte Leute gemeldet haben, haben wir uns entschieden, den Arbeitskreis auf sieben Leute zu erweitern. Engagement soll immer belohnt werden.
- Arbeitskreis: Seither besteht die Initiative „New Work @ Nextwork“ aus einem Kreis von sieben Mitgliedern. Wir treffen uns jede Woche.
- Ziel: Die Erarbeitung einer neuen Leitlinie. Die Fragen, die wir dabei für uns beantworten wollen, sind: Wie kommen wir weg von „5 x 8“, also eine feste 5-Tage-Woche mit festen 40 Stunden Gesamtarbeitszeit. Gibt es eigentlich noch einen Unterschied zu Teilzeit (30 Stunden) und Vollzeit (40 Stunden)? Welche Alternativen gibt es zur Bürokernarbeitszeit und Anwesenheitspflicht? Alles zielt auf viel mehr Verantwortung bei den Mitarbeitern, dadurch mehr Freiheit – nicht andersherum.
Interessant ist auch, dass ich, wenn ich mit befreundeten Unternehmern drüber gesprochen habe, eigentlich nur Skepsis geerntet habe, so nach dem Motto „Ob du dir damit einen Gefallen tust?“, „Wie kommst du aus der Nummer wieder raus?“, oder „Die wollen doch eh nur weniger arbeiten, aber gleiches Geld“. Aber nichts davon ist mir in unserem Arbeitskreis je begegnet.
Zurück zum menschlichen Arbeitsrhythmus
Was uns wichtig ist: Wir wollen weg vom starren, stark reglementierten Modell des Industriezeitalters, bei dem es vor allem darum ging, Schichten einzuteilen und Maschinen auszulasten. Wir wollen einen natürlichen, menschlichen Arbeitsrhythmus.
Wir empfinden es als eine enorme Befreiung, uns von der Uhr zu lösen und mehr auf Wohlbefinden, Gesundheit und Fitness zu achten. Dazu habe ich einige ganz alltägliche, aber bedeutungsvolle Beobachtungen gemacht, auf unterschiedlichen Ebenen:
Viele von uns haben kleine Kinder, oft hat man dadurch mal eine schlechte Nacht mit wenig Schlaf. Wie gut ist es da, wenn man sich morgens, wenn die Kids in der Kita sind, nochmal eine Stunde hinlegt – und dann den Rest des Tages fitter ist. Alleine zu wissen, dass es in Ordnung ist, beispielsweise morgens erst um 9.00h loszufahren, und nicht den Druck zu verspüren, um Punkt 9.00 da sein zu müssen, ist ein echter Motivationsgrund. Oder sogar an so einem Tag einfach im Homeoffice bleiben – sozusagen den Schlaf nachholen anstatt im Stau zu stehen.
Nicht zu Stechuhr-Zeiten alle ins Büro zu kommandieren, bringt nicht nur eine enorme Entlastung des Berufsverkehrs, sondern auch einen sinnvolleren Invest der eigenen Zeit – und weniger Stress. Ich selber habe mich schon länger von der Münchner Rush Hour entkoppelt und fahre mit dem E-Bike ins Büro. Aber habt Ihr schonmal bemerkt, welch riesigen Unterschied es macht, ob ihr morgens um 8.30h oder um 9.30h durch München zur Arbeit fahrt? Eine Stunde im Stau, und der Tag ist auf allen Ebenen gelaufen. Das ist Zeit, die man in jedem Fall besser verbringen kann, sei es, mit der Familie, um Schlaf nachzuholen – oder mit einem wichtigen Projekt. Für jeden Tag, an dem wir im Homeoffice sind, ersparen wir uns die Zeit für Hin- und Rückfahrt. In meinem Fall: Zwei mal pro Woche Homeoffice ersparen mir knapp 3 bis 4 Stunden, die normalerweise für die Reisezeit drauf gehen.
Eine immense Auswirkung hat diese Flexibilität womöglich auch auf das Thema Krankheitstage. Typischer Fall: Du fühlst dich morgens nicht gut – und musstest bisher vor 9.00h entscheiden, ob du dich den ganzen Tag krank meldest. Mit einer flexibleren Lösung legst du dich einfach nochmal eine Stunde hin und bleibst im Homeoffice. In vielen Fällen bist du um 10.00h wieder fit und kannst einen Arbeitstag leisten – ohne Krankmeldung.
Noch ein Beispiel: Wir Menschen haben uns mit unserem strikten Arbeitsrhythmus so sehr von der Welt entkoppelt, dass es heute fast radikal anmutet, sich mit der eigenen Arbeitszeit einfach nach dem Wetter zu richten. Aber warum nicht? Warum nicht an einem schönen Sommertag um 16.00h sagen, „Ich mach Schluss und fahr an den See“. Stattdessen an zwei Regentagen zu sagen: „Da hau ich jetzt rein, es regnet sowieso“. Ein Blick aufs Wetter kann demnach eine ganz eigene Dynamik der Wochenplanung ergeben: Montag und Dienstag sonnig, da arbeite ich weniger – dafür am Samstag im Homeoffice, wenn es regnet. Wie viel Gewinn an Gestaltungsspielraum und Flexibilität würde es uns bringen, wenn wir uns endlich von den Kernarbeitszeiten lösen?
Entwurf einer neuen Kollegialität
Der Familienanteil in unserem Unternehmen ist größer geworden, wir wollen ein Modell finden, was das spiegelt – und nicht das echte Leben irgendwie wegignorieren.
Wichtig ist, diese Regeln aufzuschreiben: Own Your Compliance. Denn dies ist auch der Entwurf einer neuen Kollegialität – explizites Gesetz statt unausgesprochene Erwartungshaltung. Wie viele Jahre war es in der Agenturbranche, unserer angestammten Klientel, ungeschriebenes Gesetz, dass die ganze Nacht das Licht brannte? Allein auf Grund des sozialen Drucks bzw. der Solidarität mit den Kollegen musste sich jeder schlecht fühlen, der pünktlich um 18.00h das Haus verließ.
Wir wollen eine neue, aktive Kollegialität entwerfen, die ich selber auch vorlebe: ich gehe um 16.00h, und das ist in Ordnung. Ich bin zwei Tage die Woche im Homeoffice, um meine Kinder in der Schule zu unterstützen, und das ist in Ordnung.
Wenn wir uns aktiv kümmern, wenn wir die Symbolpolitik und die unausgesprochene Erwartungshaltung raus kriegen, wenn wir es schwarz auf weiß aufschreiben, wie unser Arbeitsmodell in Zukunft aussieht, und wenn wir das gemeinsam im Team tun, wird das Büro ein besserer Ort, an den es eine Freude ist, zurückzukehren.
Erste Ergebnisse
Die Initiative „New Work @ Nextwork“ hat schon einige konkrete Ansätze formuliert.
Ein ganz praktischer erster Schritt war der Workshop „How to Videocall“, zum Thema „Branded Homeoffice“. Entsprechend dieser Richtlinie gab es die „NXT Room“ Homeoffice-Ausstattung: AirPods, Tische, Bildschirme und Stühle für alle, die beim Kunden präsent sind und das Unternehmen repräsentieren.
Eine eher übergreifende Feststellung ist die, dass wir natürlich Dienstleister sind; die Stunden, die wir verkaufen, müssen wir auch ableisten. Aber wir können unseren Overhead verbessern: Wenn wir 2 Stunden Overhead auf 0,5 vermindern, kommen wir weg von 8 Stunden Vollzeit. Entsprechend verändert sich, welche Art von Verhalten grundsätzlich belohnt wird: es ist nicht der der Held, der abends als letztes geht. Sondern der, der organisiert ist und sein Zeug schafft.
to be continued